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ost-transit
(auszug)

(3) mein lieber freund! ich verstehe dich nicht. es ist noch gar nicht so lange her, da zitiertest du voller enthusiasmus: „meister liä dsï wohnte in einem garten zu dscheng vierzig jahre lang, und niemand kannte ihn“, um daraufhin fortzufahren: „was für ein satz! allein ein wort in ihm ist überflüssig: meister.” und einige sätze weiter schreibst du noch: „sobald bei schriftstellern die prostata zu wachsen und bei schriftstellerinnen die monatsblutung auszubleiben beginnt, beginnen sie meist ebenso fahrplanmäßig autobiographisch zu schreiben. sie erinnern sich zurück.” und jetzt wälzt du dich hin und her zwischen den noch gar nicht begonnenen sätzen. schmollst. stellst dich unwissend. taktierst. weil du nach dem ersten nicht auch den zweiten schritt tust. nicht tun kannst. der zweite schritt ist fiktion, illusion oder lüge. du schreibst: du kannst nur beginnen. man kann nur beginnen. du hast bereits jede freie oberfläche mit anfängen vollgekritzelt und ahnst: so kannst du weitermachen, bis deine oder alle zeit abgelaufen ist. auch dann wirst du nicht über den ersten satz hinauskommen. wohin möchtest du gelangen? in die vergangenheit? es gibt keine vergangenheit. sie ist unbeständige fiktion. in die erinnerung? nebelhafte, ausfransende bilder, gefühle, launenhafte spiele unserer chemie. sind ihre konturen scharf und leuchten sie auf, so sind sie umso verdächtiger. weil das gegen die natur der dinge ist. gegen die natur. worüber soll ich dann schreiben? soll ich meinen sätzen, meinen bildern, meinen gefühlen meine mutter, meinen vater sowie deren mütter und väter unterstellen? ibolya sonnenschein? oder nur den einzigen augenblick, von dem ich mir einbilde, das sei ich, oder ich sei einmal darin gewesen? keiner davon ist mir erhalten geblieben. schon wenn sie entstehen, schnellt jeder einzelne von ihnen davon. was der geist auf ihren spuren erdichtet, ist lediglich absonderung. willst du tatsächlich aus ihren genen den wirt entschlüsseln? oder, gott bewahre, klonen? treibt dich das an? erregt dich das? spürst du my ending is despair, und würdest du sogar in einen klon schlüpfen, egal in welchen trug, der dich über den tod hinwegträgt? du blickst in die schindergrube der vergangenheit und glaubst, wen auch immer von dort heraufbringen zu können? du versuchst, die schatten zu erhaschen, frisst kreide, fieber, damit die projektion anhält? kann sein, dass ich dich verstehe, mein freund. gehören wir doch zur selben art. zu den schlauen tieren. das gegenseitige verständnis ist nicht eine frage des wissens, der intuition, sondern der absicht. dennoch empfinde ich dein unvermögen loszulassen als peinlich. weil du das unberührbare nicht loslassen kannst.