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Über das Schreiben

"Jazz is not dead, it just smells funny." (Zappa)
"Der Fehler fängt schon an, wenn sich einer anschickt Keilrahmen und Leinwand zu kaufen" (Beuys)
In der Kunst gibt es nie etwas zu erneuern, nur neu zu erfassen, nie etwas zu reinigen, nur selber reinlich zu sein,
nie neue Werte zu schaffen, nur selber zu versuchen, wertvoll zu sein. (Robert Walser)

Der folgende Text handelt von der üblicherweise als Prosaliteratur bezeichneten Kunstform. Er bezieht sich auch dann nicht auf Lyrik, wenn Namen von Dichtern fallen.
Handeln wir als erstes den Lord ab: Spätestens seit Hofmannsthal wissen wir, daß die Worte wie modrige Pilze im Mund ... Das ist aber keine schriftstsellerische Krise, sondern die notwendige Folge, die sich aus Nutzung eines unzulänglichen Werkzeugs ergibt. Ein Spiegel des jahrtausendealten Mißverständnisses der westlichen Geistesgeschichte, die den falschen Ausgangspunkt gewählt hat: daß man mittels der Sprache etwas wissen könne. Die Sprache und ihr geistiger Niederschlag, das begriffliche Denken, eignen sich nicht für die Beantwortung grundlegender existenzieller Fragen. Das Wesen erscheint nicht in der Sprache. Tatsächlich trägt sie mehr zur Verwirrung als zur Klärung bei. Weil sie die Angelegenheiten der Welt und des Geistes mittels eines Werkzeugs gewaltsam übersetzt und anschließend diese zwangsläufig unvollkommene und fehlerhafte Übersetzung mit der Sache selbst gleichsetzt.
Sokrates, der nicht schreibt. Der Schriftsteller hingegen ist doch der, der schreibt. Er hat kein anderes Werkzeug als die Sprache. Solange wir jung sind, wollen wir alles ausdrücken. Dreißig Jahre später müssen wir uns die Frage stellen: „War das jetzt alles?”. Denn wir wissen schon, daß das für den Geist erreichbare ,Ganze’ ein Nichts ist, gemessen am Wesen von Sein und Nicht-Sein. Wir wissen es auch dann, wenn wir keinerlei Begriff vom Wesen haben. Und wir wissen auch, daß jeder Text nur den nächstfolgenden zum Ergebnis hat. Mehr zu erhoffen ist naiv oder dumm. Sich mit weniger zu begnügen, Erleuchtung, Verzweiflung oder Resignation. Wenn aber weder das eine noch das andere gilt, wie kann man dann zum nächsten Text übergehen, ohne einfach nur die Masse oder das Volumen der Literatur zu steigern? Auf welche Weise kann man ihren Härtegrad so steigern, daß sie die neuen Gebäudeflügel tragen kann?
Wie kann man den Schritt in ein Zeitalter tun, in dem die literarische Welt zwangsläufig an einer weit grundsätzlicheren Wende teilhaben wird als zu Gutenberg Zeiten? Nach Gutenberg konnte man genau so weiterschreiben wie zuvor. Morgen wird es nicht mehr möglich, zumindest aber nicht mehr lohnend sein, so zu schreiben wie heute, wie wir seit Apuleius’ Zeiten schreiben. Die Wende, von der hier die Rede ist, hat irgendwo tief im 19. Jahrhundert eingesetzt (zunächst bei den Franzosen, bei Baudelaire, Rimbaud, Apollinaire, Alfred Jarry dann Mallarmé). Ihre Keime liegen aber bereits am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts (Hölderlin, Kleist, Büchner). Dieser geistige Wandel hatte, nach dem Auftreten von Kafka/Proust/Joyce sowie DADA in der Mitte des 20. Jahrhunderts, den Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gab. Damit ging aber auch seine Dynamik verloren, und die aufgestaute Energie hat die Literatur jahrzehntelang an einem toten Punkt festgehalten. Erst die in der Mitte der 1980er Jahre hervorbrechende technologische Revolution, in erster Linie die massenhafte Verfügbarkeit der Digitalisierung und des World Wide Web, hat dem Wandel größere Beschleunigungskräfte verliehen als je zuvor. Die inmitten des 19. Jahrhunderts begonnene Wende wird mithin erst jetzt vollendet werden, und damit werden auch, ganz unabhängig von der Absicht der literarischen Akteure selbst, zweitausendjahre alte Gesetzmäßigkeiten und Gewohnheiten ersetzt werden. Die Frage ist demnach nicht, ob die Wende vollzogen werden wird, sondern was die Literaturschaffenden mit dieser Wende anfangen können.
Die technologische Revolution gibt den letzten Anstoß, daß sich die Literatur von ihrem mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Nullpunkt wegbewegt. Wohlgemerkt: Diese Epoche war durchweg und ist bis heute von einem außerordentlich hohen literarischen Niveau gekennzeichnet. In nie gesehenem Umfang entstanden und entstehen weiter sowohl aus fachlicher wie aus künstlerischer Sicht hervorragende Werke. Der Beitrag dieser Literatur ist aber dennoch, von einigen Ausnahmen abgesehen, ausschließlich quantitativer Natur, indem er die Menge des Geschriebenen vermehrt, und dreht sich, vom eigenen Niveau berauscht, mit immer größerem Pathos um sich selbst. Hüben wir diese ungeheure kulturelle Masse aus, registrierten wir allenfalls kleine Schwingungen. Hübe man Kafka, Proust oder Joyce aus, fiele ein Flügel des Gebäudes in sich zusammen.
Eine Lösung haben wir selbstverständlich nicht anzubieten: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich's stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin." (Paulus’ Brief an die Korinther). Das Problem ist nur, daß es kein „dann” gibt, nur ein anhaltendes „jetzt”. Und der Schlüsselbegriff für dieses Jetzt ist die Vernetztheit. Das Wesen des Netzwerks besteht darin, daß sich die Textur in drei Dimensionen, in Echtzeit und andauernd, ausbreitet. Das Instrument dieser Ausbreitung ist die Multimedialität, die gesprochenee und geschriebene Sprache, die Melodie und der Rhythmus, die Sphäre der Bilder. Die Rolle, die vormals dem Ereignis und der Geschichte zukamen, wird nun vom Kontext übernommen, und das Gewebe dieser Kontexte ist das interne und externe Verweissystem der Texte. Der Modus der Ausbreitung kann assoziativ, sequentiell, zufällig und auf andere denkbare Weise erfolgen. Die Prozessualität der netzwerkartigen Literatur ergibt sich daraus, daß ihre einzelnen Fäden, dem Wesen des Mediums entsprechend, nicht vernäht werden können. Immer ist ein weiterer Schritt denkbar, und entlang der Fäden kann man sich nach Belieben vorwärts oder rückwärts bewegen. Der Erzähler verschwindet entweder ganz oder wird durch einen Chor von Erzählstimmen ersetzt. Das Autor-Ich wird getilgt, verbindet sich mit anderen ’Autoren’, oder tritt einfach aus dem Werk heraus, zu dessen Verbreitung es nicht mehr benötigt wird. Die Kategorien „mein Buch, mein Kommentar, meine Geschichte” (Pascal) verlieren ihre Bedeutung. Aus alledem folgt, daß der Text polyzentrisch ist. Die Grundeinheit der Textur ist nicht der Satz oder das einzelne Motiv, sondern der Akkord, der Dreiklang, der Zusammenklang. Der „Autor” organisiert, inszeniert, transformiert, adaptiert und komponiert als Compiler. Komposition und Konstruktion fließen ineinander.
All das erfordert natürlich einen neuen Leser, eine neuen Rezipienten, eine andere Technik der Wahrnehmung und Aktivität. Noch die allergenialste Textur ist lediglich ein toter Stoff, wenn sie nicht auf angemessene Weise zum Klingen gebracht wird. Der Leser ist die Callas, der Rabin, Horrowitz oder Du Pré der Partitur. Er erweckt die Magie des Textes, indem ihm jedes einzelne Zeichen zum Einstieg in ein tiefes Verständnis werden kann, wenn man er sich in angemessener Geisteshaltung in es versenkt. Die Qualität einer Epoche ist die Qualität der rezeptiven Aktivierung ihrer Werks. Die die Kunst in den vergangenen Jahrzehnten bestimmte Pattsituation ist unwiederbringlich aufgelöst. Naturgemäß haben wir noch keine Vorstellung von der weiteren Entwicklung der Partie, soviel aber steht fest: Die technologische wie die von ihr ausgelöste und ermöglichte methodische Revolution des 21. Jahrhunderts wird mit einer nie dagewesenen Radikalität und Geschwindigkeit unsere jahrtausendealten kulturellen Reflexe ersetzen. Künstler und Rezipienten haben keine andere Wahl als sich dem Wandel auf ihre eigene Weise und mit ihrer eigenen Technik anzupassen. Tun sie es nicht, schaffen sie sich selbst ab.

2013

# - acht minuten